Br. Jeremias Borgards lebt seit August 2022 in Albanien. Dort hat der Priester und Krankenpfleger ein Ambulanz-Projekt gestartet. Wie dieses anläuft und wie es ihm in Albanien geht, sagt er im Interview.
Br. Jeremias, Sie sind jetzt ein Jahr in Albanien. Wie geht es Ihnen?
Das Jahr hier in Albanien ist sehr schnell vergangen und ich fühle mich sehr wohl hier! Sowohl bei den Menschen vor Ort als auch auf der Missionsstation und, was mir besonders wichtig ist, mit meiner Arbeit als Krankenpfleger im Dienst für die Kranken. Die einzige wirkliche Schwierigkeit und Herausforderung für mich ist und bleibt wohl auch noch für längere Zeit die Sprache. Was die albanische Kultur, Mentalität und Lebensweise betrifft, so komme ich oft ins Staunen. Ich entdecke jeden Tag neue Dinge. Aber da ich mich gerne in fremden Kulturen bewege, ist das keine Herausforderung, sondern eine Bereicherung.
Wie ist das Leben auf der Missionsstation, Sie sind ja dort drei Kapuziner?
Eigentlich sind wir zu viert, wenn wir die Gründerin der Missionsstation, Sr. Gratias Ruf, mitzählen. Und ja, wir leben zu dritt in einer Kapuziner-Gemeinschaft. Und wir sind dabei aus ganz unterschiedlichem Holz geschnitzt! Das macht es nicht immer leicht, im offenen und ehrlichen Dialog finden wir aber immer einen gemeinsamen, guten Weg. Uns verbindet, dass wir uns alle drei für das Leben in Albanien und mit den Menschen in Fushë-Arrëz und der Bergregion entschieden haben.
Sie drei haben ja sehr unterschiedliche Aufgaben.
Ja, so ist das. Und so hat auch jeder die Möglichkeit, in seinem Bereich echte Verantwortung zu übernehmen. Das macht unser Miteinander und unsere Gespräche lebendig und vielfältig. Und wir haben ja etwas, das uns über die Arbeit und das Engagement hinaus noch viel tiefer verbindet: unsere christlich-kapuzinische Spiritualität. Sie wird durch den Glauben an Gott, auf dessen Ruf hin wir ja durch unser Leben antworten, genährt.
Was ist Ihre Aufgabe?
Ich bin immer noch ein Stück in der Eingewöhnungsphase, denn noch habe ich längst nicht alle wichtigen und notwendigen Erfahrungen mit Land und Leuten gemacht. Aber das ist nicht alles: Ich bin hier schon im Einsatz als Krankenpfleger.
Wie kann man sich die Arbeit konkret vorstellen?
Ich arbeite mit dem einzigen Arzt vor Ort, Dr. Nikolin Bardhoku, zusammen. Wir fahren oft gemeinsam zu Hausbesuchen und haben am Dienstag am Vormittag Sprechstunde in der zur Missionsstation gehörigen Ambulanz. Hier kümmert sich der Doktor um Diagnosen und Medikation und ich mich um Wundversorgung, Hautläsionen, orthopädische Hilfsmittel, Thromboseprophylaxe und Beratungen verschiedenster Art im pflegerischen, aber auch diätetischen Bereich.
Sind Sie auch außerhalb der Station unterwegs?
Ja, genau. Ich habe viele Hausbesuche, oft mit bis zu 40 oder sogar 80 Kilometern für Hin- und Rückweg. Das Gebiet meiner Tätigkeit als Krankenpfleger erstreckt sich über etwa 80 bis 100 Kilometer, oder in Orten ausgedrückt: von Gjegjan und Puka über Fushë-Arrëz bis Lekbibaj und Dushaj. Wenn es zum Beispiel in die Berge nach Pap/Berisha geht, bin ich sechs Stunden unterwegs. Die Arbeit ist vielfältig: Von Verbrennungen über Fäden ziehen, Schulung von Angehörigen, bis hin zu Dekubitusversorgung und ‑prophylaxe, Medikamentenbeschaffung und Lieferung findet sich alles, was man sich an pflegerischer Hilfe vorstellen kann.
Wie unterscheidet sich Ihre Arbeit von der in Deutschland?
Es ist ein ganz anderes Arbeiten als in unserem hochmodernen Pflegebetrieb in Deutschland. Mich fasziniert bei all dem, wie eng ich als Pflegender an den Sorgen und Nöten der Menschen bin. Und wieviel es wert ist, dass ich hier in Albanien Zeit für die Patientinnen und Patienten, deren Familien sowie Sorgen und Nöte habe. Ganz anders als in Deutschland. Bei meiner Arbeit habe ich neu entdeckt, wie wichtig es ist und auch in Deutschland wäre, wenn die Pflegekräfte Zeit für den Patienten mitbringen. Hier geht es um Werte und die Bedeutung von Zuwendung in der Pflege.
Wird Ihre Arbeit gut angenommen?
Im Großen und Ganzen ja! Anfangs gab es mal die Sorge, dass ich als Mann in manchen Bereichen vielleicht Schwierigkeiten haben könnte, aber das ist eher nicht so. Auch mit den einheimischen Kolleginnen und Kollegen gibt es keine Schwierigkeiten, da ich mich nicht in ihre Arbeitsfelder einmische. Da ich bei den Hausbesuchen oft zu sehr armen oder abgelegen lebenden Familien und Kranken komme, bin ich natürlich auch als Abwechslung im Alltag sehr willkommen. Es gibt viele pflegende Angehörige und Kranke, die sich alleingelassen fühlen und allein das aufzufangen mit meiner Präsenz ist ein guter Dienst, der ankommt.
Wo liegt die größte Herausforderung?
Die wirklich größte Herausforderung ist, die adäquaten Materialien zu finden. Es geht darum, das Wenige, das vorhanden ist so einzusetzen, dass es lange reicht und nicht verschwendet wird. Aber das ist ja auch eine Verantwortung unseren Spenderinnen und Spendern gegenüber, die ich sehr ernst nehme!
Wie ist denn die Situation der Menschen vor Ort, was die Gesundheitsversorgung angeht?
Schlecht, so kann man es mit einem Wort ausdrücken. Das staatliche Gesundheitssystem basiert eigentlich darauf, dass die medizinische Behandlung durch den Allgemeinmediziner und das Krankenhaus kostenlos sind. In den meisten Fällen muss aber trotzdem etwas gegeben werden, sonst wird nicht behandelt. Und da die meisten Menschen unserer Region kaum Geld haben, sind Dr. Nikolin, der kein Geld von den Patientinnen und Patienten entgegennimmt, und unsere Missionsstation, oftmals die einzigen, die für viele Menschen regelmäßige Visiten und medikamentöse Versorgung garantieren.
Sie sind auch Priester, sind Sie auch als Seelsorger unterwegs?
Natürlich, das geht ja gar nicht anders, es ist ja Teil meiner Identität. Egal, wohin ich komme, ob Muslime oder Christen, ich bringe mich als Seelsorger immer mit und werde auch immer wieder darauf angesprochen. Seelsorgliche Gespräche, soweit die Sprache das zulässt, finden immer wieder statt und auch Krankensalbung spenden oder Beerdigungen bei katholischen Patientinnen und Patienten gibt es. Als Leib- und Seelsorger den Menschen begegnen: Was kann es Schöneres geben?
Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?
Ich möchte einen langfristig etablierten, mobilen Pflegedienst aufbauen, sowie ein kleines Wohn- und Pflegeheim. Dazu braucht es längerfristige Unterstützung durch Sponsoren, eventuell sogar Kliniken, die sich uns in irgendeiner Weise als Mitträger oder Partner anbieten. Ich selbst freue mich, hier in Albanien an genau dieser Stelle zu sein. Hoffentlich, so Gott will, bleibt das noch lange so!
zuerst veröffentlicht in: https://www.kapuziner.org/erfolgreicher-start-der-kapuziner-ambulanz-in-albanien/
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